In der Tat ist diese Tatsache weitgehend unbekannt, vor allem, weil Homer uns in seinem großen Epos, der „Ilias“, in deren Mittelpunkt der Trojanische Krieg steht, eine ganz andere Version, die wir in allen Schulbüchern und Sagensammlungen lesen, übermittelte. - In den griechischen Mysterien wusste man allerdings um die Wahrheit
Nach Homer war es bekanntlich zum Streit zwischen drei Göttinnen, nämlich Athene, Hera und Aphrodite gekommen, wer die schönste sei. Sie kamen überein, einen Sterblichen zum Schiedsrichter zu bestimmen und wählten Paris, den trojanischen Thronfolger. Dem nun versprach Aphrodite, wenn er sie erwähle, die schönste Frau, die es gibt – Helena, verheiratet allerdings mit dem griechischen Fürsten Menelaos.
Paris nun wählte Aphrodite und mit ihrer Hilfe entführte er die schöne Griechin – der dies, wie man erzählt, gar nicht so unrecht gewesen sei – nach Troja. Die Griechen nun rüsteten schnellstmöglich auf, segelten nach Troja und belagerten die Stadt, wie wir heute wissen, zehn Jahre – und das vergeblich. Bis Odysseus der Clou mit dem Trojanischen Pferd einfiel, was mit der Eroberung der Stadt endete.
In den griechischen Mysterien hatte das Helena-Geschehen allerdings einen ganz anderen Stellenwert, weil anhand des wahren Geschehens den Mysterienschülern die Entwicklung hin zu begierdenhafter Liebe vermittelt wurde, die in den letzten zwei-, dreitausend Jahren zunehmend das Denken, Fühlen und damit auch das Tun der Menschen bestimmte und heute noch bestimmt. Dass Homer, obwohl sicherlich ein hoher Eingeweihter, eine exoterische Version verbreitete, also eine, die das Mysterienwissen außen vorließ, mag daran gelegen haben, dass auf den Verrat von Mysteriengeheimnisssen die Todesstrafe stand, möglicherweise aber auch deshalb, weil die Menschheit zu großen Teilen noch nicht in der Lage gewesen wäre, die spirituellen Hintergründe zu verstehen.
Dass vor allem Euripides, der jüngste der drei großen griechischen Dramatiker, ca 400 Jahre später die Wahrheit zu Teilen offenbaren konnte, mag etwas überraschen; er war aber nicht der einzige, der dies tat und vielleicht drängte die Wahrheit doch zu sehr ans Tageslicht der Öffentlichkeit. Dennoch aber blieben die spirituelle Hintergründe bis heute weitgehend unbeachtet.
Euripides beginnt sein Schauspiel „Helena“ mit einem Monolog, in dessen Rahmen die gleichnamige Protagonistin schon zu Beginn offenlegt, was wirklich geschah:
Doch Hera, grollend, daß sie nicht den Preis gewann,
Vereitelt' meiner Hand Besitz dem Paris: mich
Nicht selber gab sie, sondern ein lebendig Bild,
Aus Ätherstoff geschaffen und mir völlig gleich,
Dem Fürstensohne Priams hin – er glaubte mich
Zu haben, eitlen Wähnens, ohne mich!
Der heutige Leser mag verwundert sein, wie es geschehen konnte, dass Paris ein ätherisches Bild, von Hera, der Frau des Zeus geschaffen, für real nahm, doch die damalige Körper-Seele-Geist-Beschaffenheit war eine ganz andere (z.B. konnte die Seele beim Schiffen auf hoher See den Körper verlassen; in der Regel sangen dann Sirenen, die mit ihrer Energie die Seele aus dem Körper herauszogen, herauslockten - heute halten die Menschen sie einfach für Fabelgestalten; sie waren aber so real wie beispielsweise damals die Erynien, die sich heute in unser Inneres verlagert haben).
Was das historische Geschehen betrifft, ist Fakt, dass viele Männer männertypisch in einem Krieg sich um etwas balgen, was gar nicht vorhanden war - nämlich das Objekt der Begierde, Helena. In Wirklichkeit war sie mitsamt Paris von einem Sturm verschlagen, an der Küste Ägyptens gestrandet und von dem dortigen König Proteus auf der Insel Pharos, 25 Kilometer vor dem Nildelta, festgesetzt worden (mehr über dieses Geschehen in der Darstellung des Euripides unter dem folgenden Link https://lmy.de/TENy). Paris war dann Richtung Troja freigelassen/abgeschoben worden - mitsamt dem (Trug)Bild Helena, wie gesagt, erschaffen durch Hera, während die wirkliche Helena auf der Insel blieb.
Zwei Aspekte, die dieses Geschehen um Troja offenlegt, sind für mich in diesem Zusammenhang bemerkenswert:
Männer wie Paris - und von denen gibt es sehr viele - glauben, eine Helena nach Hause zu führen. Irgendwann stellen sie dann fest, dass ihre Helena gar nicht wirklich eine Helena, wie sie sich diese vorgestellt hatten, ist, d.h., der Helena-Putz bröckelt und die Parisse dieser Welt schieben das heraufziehende Beziehungsdesaster gern der Frau in die Schuhe; die allerdings hat sich zumeist nicht als Helena ausgegeben; im Zweifel hatte der Mann wie Faust in der Hexenküche zu viel vom Hexentrank getrunken, den dort Mephistopheles ihm kredenzt hatte (das müssen in seiner Realität nicht zu viele Pornos gewesen sein, die er sich reingezogen hat; wahrscheinlich ist eher, dass sein inneres Verhältnis von Begehren und Liebe generell nicht so beziehungsfreundlich war; Männer - weniger Frauen, aber auch - halten oft ihr Begehren für Liebe).
Es mag dann nach eine kurzen oder langen Weile so geschehen, wie Erich Kästner in seiner ´Sachlichen Romanze´ schrieb:
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut)
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Angemerkt muss natürlich hier auch sein, dass es einige Frauen gibt - und meines Erachtens nimmt ihre Zahl zu - die sich gern als Helena geben und nicht wirklich die sind, die ihrer seelischen Realität entspricht, sondern ein Bild spielen, das der Vorstellung entspricht, die sich von sich selbst erwarten und das oft geprägt ist durch die gesellschaftliche Realität der Frau, die seit geraumer Zeit zunehmend gewollt unter sexistischen Einflüssen steht.
Im übrigen mag es natürlich sein, dass es Paare gibt, die dann um ihre Liebe - beziehungsweise was sie als solche bezeichnen - kämpfen und eine ehrliche Arbeit für eine Beziehung beginnt. Das setzt die Bereitschaft voraus, seine eigenen Seelentiefen auszuloten und dem anderen in dessen Seelentiefen bereitwillig und möglichst ohne Vorurteile zu folgen.
Möglich ist natürlich auch bei einem der beiden Partner oder beiden die Erkenntnis, dass sie nicht wirklich den anderen liebten, sondern, als sie an Liebe glaubten, in Wirklichkeit in ihr Gefühl von Liebe verliebt waren, im Grunde genommen – da dieses Gefühl ja ein Bestandteil ihrer eigenen Seele war –in sich selbst. Man kann also in ein Gefühl, das man hat und das sich so schön anfühlt, verliebt sein, und nicht wirklich in den anderen. Das kommt öfters vor, als man denkt; und wenn dieses Gefühle nachlässt, ist es in der Regel oft ganz und gar aus mit der Liebe und in Einzelfällen kann die vermeintliche sogar in Hass umschlagen.
Jener Lehrstoff jedoch, von dem oben bereits die Rede war und wie er in den Mysterien vermittelt wurde, hat zunächst einmal zu tun hat mit dem Entstehen der erotischen Liebe, dem Verlangen, der Begierde - im Sanskrit „Kama“ genannt - im Rahmen der letzten Erdinkarmation; die Anthroposophen bezeichnen diese als ´alten Mond´ (mehr dazu hier https://anthrowiki.at/Alter_Mond).
Diese Art von Liebe allerdings war zunächst weder gut noch böse war, sondern einfach ein, wie es die hinduistische Rigveda darstellt, Urtrieb menschlichen Seins, der die Erscheinungswelt erschafft und aufrecht erhält und für unsere Reinkarnationen verantwortlich ist.
Im Schöpfungslied der Rigveda heißt es:
Im Anfang war Finsternis in Finsternis versteckt (...) das Eine wurde durch die Macht eines heißen Dranges geboren. Über dieses kam am Anfang das Liebesverlangen, was des Denkens erster Same war.
Dieser heiße Drang kann, wie wir wissen, in einem Mystiker tätig sein und ihn (manchmal auch durchaus zwanghaft) zum Himmel ziehen wollen. Er ist aber in seiner niederen Form auch in dem Menschen tätig, der sich Süchten und Trieben hingibt, gern auch dem Sexualtrieb - Don Juan ahnte wohl nicht, wie sehr er dessen Opfer war.
Es ist wichtig zu wissen, dass dieser ursprüngliche Drang erst den Menschen zum Menschen gemacht hat; der eine Mensch allerdings - das lässt sich für unsere Zeit sagen - strebt bzw. versucht in einem positiven Sinne zu streben, ein anderer strebt in seiner negativen Form, ist süchtig und außer Kontrolle geraten bzw. ist unter Kontrolle der Kräfte, die wir der Mondsphäre zuordnen.
Der Mond, wie wir ihn heute kennen, sonderte sich in einer Zeitspanne unserer Erde ab, die wir Lemurien nennen, die vor ca. 2500 Millionen Jahre begonnen haben dürfte und die Atlantis voranging. Dieser Mond nahm niedrige negative Energien mit, ansonsten die Erde für Menschen unbewohnbar geworden wäre, unbewohnbar, weil sie sich verkrustet und verhornt hätte und in der Folge verödet wäre. Mit dem Mondenaustritt näherte sich der Mensch der heutigen Gestalt an; die Geschlechtertrennung fand statt (mehr zur Mondentrennung hier: https://lmy.de/ImIK)
Was hier nur in Kürze angesprochen werden kann, veränderte natürlich die Wirklichkeit der Menschen auf enorme Weise. Unser heutiges Denken beispielsweise wäre ohne die Geschlechtertrennung nicht möglich gewesen und Odysseus steht für diesen Menschen und wird deshalb der listige Odysseus genannt. Was fast zeitgleich geschah, war, das dieser denkende Mensch, für den auch Paris steht, Helena in Beschlag nimmt. Helene/Helena - der Name geht zurück auf Selene, die Mondgöttin, das weibliche Prinzip - steht immer in Gefahr, tief abzusinken. Das derbste Kamische - Selene-Helene-Helena - ist mit dem Mondaustritt von der Erde abgefallen und das reißt der Mensch, hier Paris genannt, an sich in Form der Helena. Die Folge eben ist Krieg.
Nur hat Paris eben nicht die wahre Helena geraubt, sondern im Grunde ein Plagiat, ein Trugbild, ein weibliches Abziehbild, wie Männer es sich gern in den Spind hängen. Als Faust die Hexenküche verlässt, sieht er in einem Spiegel ein wunderschönes Weib und vernarrt sich in diesen Anblick. Mephisto aber sagt zu ihm die übergroße Wahrheit, wissend, das Faust den Hexentrank zu sich genommen hat:
Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe.
Es ist nicht die wirkliche Helena, die er zukünftig unter mephistophelischem Einfluss sehen wird, sondern eine, die er für Helena hält, womöglich eine niedere Kopie.
Die wahre Helena hat ihren Menelaos übrigens wirklich geliebt und ist ihm treu geblieben. Daran lässt Euripides keinen Zweifel (Auszüge hier https://lmy.de/TENy). Es sind die typischen Männerphantasien, die eine Helena in den Armen eines Paris und aller weiterer Parisse untreu werden lassen wollen.
Und das ist auch der Grund, warum der wahren Helena im zweiten Teil des Faust eine so große Bedeutung zukommt. Goethe stellt sie der Hexentrank-Spiegel-Helena des „Faust I“ gegenüber. Und sie ist es, die den Mann zum Ewig-Weiblichen ziehen kann, vor allem, wenn er auch selbst entsprechende Schritte tut. Heute genügt es nicht mehr, sich ziehen zu lassen. Heute müssen Männer wie Frauen sich aktiv um ihre Seele kümmern. Dann wird auch geschehen, was geschehen kann, dass nämlich der Mond sich wieder (in tausenden von Jahren) mit der Erde verbindet. Dann wird in vielen Menschen Männliches und Weibliches ins Gleichgewicht gekommen sein und der Krieg der Geschlechter wird vorbei sein und damit jene Kriege, die entstehen, weil Männer meinen, das niedere Kama rauben zu müssen, das, dem sie bereitwillig dienen.
Es gibt mittlerweile nicht wenige Männer, die auf dem Weg zu der wahren Helena unterwegs sind und nach der wahren Helena in sich und im Außen Ausschau halten. Dies Geschehen ist identisch mit dem Gralskönigtum, indem dem Menschen, der das Parzivalbewusstsein integrieren konnte, durch den Gral seine Königin gezeigt wird.
Gefährdet ist mittlerweile ungleich mehr das Weibliche. Zu viele Frauen fahren auf ein vulgäres Bild von Weiblichkeit ab, auch, weil sie das kaputte Männliche, das derzeit noch die Erde regiert, imitieren. Deshalb ist es auch wichtig, dass Frauen sich ebenfalls um jene Helena bemühen, die sie verbindet mit den Tiefen ihres Seins, jenen Tiefen, aus denen Faust im zweiten Teil von Goethes Werk Helena und ihre umfassende Weiblichkeit in seine Realität zu holen sucht.